Erst der Friedensnobelpreis an einen afrikanischen Regierungschef, dann die Konferenz zu einem verheerenden Krieg in Libyen: Afrika gibt ein uneinheitliches Bild ab. Ein genauerer Blick auf Afrika zeigt: Der Kontinent nimmt einen anderen Weg, als viele glauben.
Die Sensation ging in Sekunden um die Welt: Der Friedensnobelpreis 2019 geht an den äthiopischen Regierungschef Abyi Ahmed. Viele Menschen, gerade im globalen Norden, waren überrascht. Afrika ist für sie ein Kontinent, der von Armut und gewalttätigen Konflikten geprägt ist. Doch dieses Afrika-Bild verdient ein Update.
Äthiopiens unglaubliche Wandlung – mit Schönheitsfehlern
Äthiopiens junger Premierminister Abiy Ahmed kam 2018 ins Amt, nachdem der vorherige zurückgetreten war. Bald nach Amtsantritt nahm Abiy den Ausnahmezustand zurück und zündete eine ambitionierte Reformpolitik. Fast 20 Jahre nach dem Ende des Krieges mit Eritrea akzeptierte er ein Friedensabkommen – und zwar bedingungslos. Im Kern ging es darum, dass die Grenze zwischen beiden Ländern, um die 1998 bis 2000 gekämpft worden war, nun durch Äthiopien anerkannt werden sollte. Damit machte er den Weg frei für Frieden mit dem Nachbarland.
Eritrea nahm das Angebot an, und kurz danach hat der Frieden den Alltag verändert: Botschaften wurden eröffnet, Telefonverbindungen wiederhergestellt und Handelsbeziehungen aufgenommen. Außerdem wollen beide Länder Flugverbindungen einrichten und einen Hafen in Eritrea gemeinsam nutzen.
Doch bei allen Fortschritten steht Äthiopien auch heute noch vor großen Herausforderungen. Von allen afrikanischen Ländern hat es die meisten geflüchteten Menschen aufgenommen, fast eine Million. Vor kurzem hat sich das äthiopische Parlament ihrer angenommen und ihren Zugang zu Grundschulbildung und zum Arbeitsmarkt erleichtert. Doch auch unter anderen Bevölkerungsgruppen in Äthiopien gibt es Spannungen. Die Menschen der südlichen Provinz Southern Nations, Nationalities, and Peoples‘ Region fordern für sich eine autonome Provinz. Und selbst einen Putschversuch geben Abiy hat es schon gegeben.
Außerdem schwelt ein Konflikt mit Ägypten. Mit Hilfe chinesischer Investitionen will Äthiopien eines der führenden Kraftwerksländer Afrikas werden. Zu diesem Plan gehört der fünf Milliarden US-Dollar teure Grand-Ethiopian-Renaissance-Staudamm, der sechs Gigawatt produzieren soll. Im Nachbarland Ägypten wird das Projekt aber sehr kritisch gesehen: Das nilabwärtsliegende Land fürchtet weniger Wasser.
Kein ungetrübtes Bild
Äthiopien ist kein Einzelfall. Tatsächlich ist Afrika heute friedlicher als jemals zuvor seit der Kolonialzeit. 90 Prozent aller Afrikaner leben in Frieden. Der Kontinent hat sich Schritt für Schritt aus vielen alten und oft zerstörerischen Konflikten befreit. Die Liste der Friedensnobelpreisträger und -trägerinnen der letzten Jahre ist dafür ein eindrucksvoller Beleg: Ellen Johnson Sirleaf und Leymah Gbowee aus Liberia erhielten den Preis 2011, das Quartet du Dialogue National aus Tunesien im Jahr 2013, Wangari Maathai aus Kenia im Jahr 2015, Denis Mukwege aus dem Kongo im Jahr 2018. Und auch dieser fun fact: Nur in Afrika gibt es eine Straße, in der gleich zwei Friedensnobelpreisträger gewohnt haben, nämlich die Vilakazi Street in Südafrika, Heimat von Desmond Tutu und Nelson Mandela.
Der Weltfriedensindex spiegelt diese Entwicklung zum Teil wider. Der Index des Institute for Economics and Peace (IEP) ordnet 163 Staaten entsprechend ihrem Grad an Friedfertigkeit, mit dem friedlichsten an der Spitze. Er attestiert der Subsahara-Region, dass die Zahl der anhaltenden Konflikte im Durchschnitt über alle 25 Länder sinkt. Neben Äthiopien und Eritrea gehören auch Länder wie Ruanda und Sudan zu den Aufsteigern im Ranking.
Auf der anderen Seite darf man nicht übersehen, dass die friedliche Entwicklung auch daher kommt, dass Afrika von einem niedrigen Friedensniveau aus gestartet ist. Außerdem bewertet der Index die Länder im Verhältnis zueinander. Also verbessert sich die relative Position Subsahara-Afrikas auch deswegen, weil sich die Friedenssituation im Nahen Osten verschlechtert. Kurz gesagt: Je härter in Ländern wie Syrien und Jemen gekämpft wird, desto besser schneidet Subsahara-Afrika im Vergleich ab. Ein echter Friedensfortschritt für die Menschen ist das aber nicht.
Neue Lösungen für Spannungen
Der junge Nobelpreisträger Abiy Ahmed wird sich in den kommenden Jahren bewähren müssen. Aber jeder Friedensnobelpreis ist genauso eine Anerkennung wie ein Vertrauensvorschuss. Gerade der Konflikt mit Ägypten zeigt, dass sich neue Spannungen nicht entlang alter Grenzen, sondern neuer Zukunftsprojekte entzünden können. Es wird darauf ankommen, dass die beteiligten Regierungen solche Konflikte diplomatisch lösen.
Quellen: Sieren: Der Afrika-Boom, Deutsche Afrika Stiftung, Wikipedia, SWR2, Institute for Economics and Peace
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