Deutschlands Handel mit Afrika vor Zeitenwende?

Von |2023-04-13T18:53:33+00:00März 22, 2023|Entwicklung|

Für die Energiewende braucht Deutschland Afrika. Aber was muss passieren, damit der Handel fair wird? Fünf Thesen zur Wirtschaftspartnerschaft zwischen Afrika und Deutschland.

1. Deutschlands Energiewende hängt von Afrika ab

Als Bundeskanzler Olaf Scholz im Mai letzten Jahres das große Photovoltaik-Solarkraftwerk Diass im Senegal besuchte, stand seine Reise im Zeichen der „Zeitenwende“. Der Ukraine-Krieg hat sowohl das energiehungrige Europa als auch die Länder Afrikas hart getroffen. Scholz und Senegals Präsident Macky Sall nahmen dies zum Anlass für eine Neujustierung ihrer Beziehungen. „Wir sind daran interessiert, den europäischen Markt mit Gas zu beliefern“, sagte Sall.

Deutschland braucht Energie. Und das gleich doppelt: Erstens muss die Gaslücke gefüllt werden, die die Russlandsanktionen gerissen haben. Dazu wandert der Blick nach Süden. Fast die Hälfte aller seit 2010 neu entdeckten Gasvorkommen liegt in Afrika. Damit könnte der Kontinent 20 Prozent des europäischen Ausfalls an Gas abdecken, rechnet The Economist vor. Eine Pipeline unter dem Mittelmeer gibt es bereits. Senegal könnte einer der Lieferanten werden.

Zweitens erfordert der Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft alternative Energiequellen. Das kann auf direktem Weg geschehen, beispielsweise durch das Durchleiten von Solarstrom durch die geplanten Unterseekabel von Ägypten nach Griechenland. Das wird vor allem aber indirekt geschehen, indem gewaltige Mengen von Wasserstoff als Energiespeicher genutzt werden. Nur: „Das Potenzial Deutschlands zur Herstellung von Wasserstoff mittels erneuerbarer Energien reicht zur Deckung des erwarteten Bedarfs bei weitem nicht aus“, warnten die Wirtschaftsweise Veronika Grimm und weitere Forschende von der Leopoldina Anfang März in einem Papier an die Bundesregierung. „Ein Großteil des Wasserstoffbedarfs wird folglich importiert werden.“ Dabei kommt fast nur der Import aus den dauersonnigen Regionen Afrikas in Frage. Ohne neue Abhängigkeiten wird es in der Energiewende nicht gehen.

2. Deutschland muss sich von Afrika entdecken lassen

Aber will Afrika diesen Handel überhaupt? Im diesig-verregneten Hamburger Hafen lernt man etwas über den Stand afrikanisch-deutscher Handelsbeziehungen. Dort türmen sich Container in und an Länder in aller Welt in unendlichen Reihen. Aber ein afrikanisches Land steht kaum je auf einem Transportschein. Das „Tor zur Welt“ des vielfachen Exportweltmeisters Deutschland öffnet sich selten nach Afrika.

Deutschlands Handel mit Afrika ist unterentwickelt: Er umfasst jährlich ein Volumen von circa je 20 Milliarden Euro an Einfuhren und Ausfuhren. Das sind weniger als zwei Prozent des gesamten deutschen Handels. Damit handelt die Bundesrepublik mit eineinhalb Milliarden Menschen in Afrika nur halb so viel wie mit 47 Millionen Spanier:innen.

Warum so wenig? Seit rund sechzig Jahren regeln Abkommen wachsenden Umfangs die Handelsbeziehungen zwischen Europa und Afrika. Dreh- und Angelpunkt ist das sogenannte Cotonou-Abkommen. Doch es ist längst ausgelaufen. Die Neufassung schleppt sich seit Jahren in endlosen Verhandlungsrunden und mit immer neuen Forderungen der EU dahin. Dazu kommt die Überarbeitung von Europas Agrarpolitik mit einer stärkeren Gewichtung des ökologischen Anbaus. Sie ist wichtig, denn landwirtschaftliche Erzeugnisse gehören zu Afrikas wichtigsten Handelsgütern. Und drittens gibt es schon seit über 15 Jahren die Afrika-EU-Energiepartnerschaft, die eigentlich das Forum für gemeinsame Projekte mit dem Ziel der Energiesicherung bilden sollte.

Die Beziehung ist also kompliziert. Was Europa und Deutschland Afrikas Verkäufer:innen zu bieten haben, ist nicht in erster Linie ein attraktiver Absatzmarkt. Es sind hohe Transportkosten, noch höhere Zugangsbarrieren, frustrierend lange Streitereien und jede Menge Bürokratie. Zuletzt konnte man häufig lesen, die deutsche Wirtschaft müsse Afrika endlich als Handelspartner entdecken. Dabei ist umgekehrt richtig: Europa und Deutschland müssen sich schön machen, um von Afrika wieder entdeckt zu werden.

Auch in Afrika redet man über den Abbau von Abhängigkeiten – von Europa.

3. Afrika ist die erste Wahl – für Afrika

Dass das ein hartes Stück Arbeit werden könnte, zeigt der Schwenk in der afrikanischen Handelspolitik: Die Afrikanische Union (AU) will zukünftig zuerst den innerafrikanischen Handel ausbauen. Denn da schlummert riesiges Potenzial. Heute handeln Afrikas Länder nur 15 Prozent ihres Handelsvolumens untereinander. Zum Vergleich: Unter asiatischen Ländern beträgt dieser Anteil 80 Prozent.

Deswegen treibt die AU die afrikanische Freihandelszone AfCFTA voran. Sie ist schon heute gemessen an der Anzahl der Länder die größte der Welt. Handelshemmnisse zwischen den Ländern will sie abbauen. Zudem hat die AU gerade eine Initiative für ein gemeinsames Zahlungssystem gestartet.

Dabei geht es der AU nicht nur um schieres Handelsvolumen, sondern auch um qualitätvolle innerafrikanische Wertschöpfungsketten. Man wolle nicht länger billige Rohstoffe exportieren und dann teure aus denselben Materialien bestehende Produkte aus den Ländern des globalen Nordens, meistens Europa, importieren. „Beschäftigung und Wertschöpfung finden in den verarbeitenden Volkswirtschaften statt, während afrikanische Menschen in Armut und Unterentwicklung verharren“, beklagt man in einer Erklärung der Intra African Trade Fair der AU. Auch in Afrika redet man also über den Abbau von Abhängigkeiten – von Europa.

4. Deutschland braucht bessere Standorterwartungen

An dieses neue Selbstverständnis Afrikas werden sich die Europäer:innen anpassen müssen. Bekannt sind Klagen aus der deutschen Wirtschaft über Afrikas Standortnachteile: schlechte Straßen, unzuverlässige Stromversorgung, eine chaotische öffentliche Verwaltung.

Dabei sind nicht Afrikas Standortfaktoren das Problem, sondern Deutschlands Standorterwartungen.

Zum einen ist Afrika nicht gleich Afrika, sondern ein gigantischer Kontinent aus 54 Ländern und noch mehr Regionen. Was für eine Region prägend sein mag, kann 300 Kilometer weiter schon ganz anders aussehen. Immerhin blühen auch hier Innovationszentren wie das Silicon Savannah bei Nairobi auf.

Zum anderen ist es endlich Zeit, die pauschalen kulturellen Zuschreibungen von Hofstede, die jede:r aus Grundstudium oder zahllosen Seminaren in interkultureller Kompetenz kennt, hinter sich zu lassen. Das empfiehlt auch das „Praxishandbuch Wirtschaft in Afrika“. Tatsächlich hat ein Start-upper aus Kenia mehr mit einem deutschen Unternehmer gemeinsam als mit einem ägyptischen Kleinbauern. Es sind nicht die kontinentalen Grenzen, die Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen formen, sondern die sozialen. Diese Erkenntnis ist der Ausgangspunkt für ein „Verhältnis auf Augenhöhe“ im direkten eins-zu-eins-Kontakt.

Dazu gehört auch das Vertrauen in kreative Problemlösungskompetenz. „Afrikas IT-Tüftler lösen Probleme, die es im Rest der Welt gar nicht gibt“, heißt es weiter im Praxishandbuch. Zum Beispiel eine App, mit der man sich auch in Afrikas Städten zurechtfindet, wo es keine genauen Adressen gibt. Unterschiede zu Deutschland sind nicht einfach als „Standortnachteile“ zu sehen – sondern als Potenziale für spezifische Lösungen.

5. Win-win wird normal

Viele Regionen Afrikas sind nicht nur mögliche Energieerzeuger, sondern auch Energieverbraucher. Laut Weltbank haben weit über eine halbe Milliarde Menschen auf dem Kontinent noch überhaupt keinen Stromanschluss. Elektrifizierung steht daher für viele afrikanische Regierungen ganz oben auf ihrer Agenda. Aber den Umweg über klimafeindliche Kohle- oder Gaskraftwerke will man nicht gehen. Hier schlummert der Ansatzpunkt für neue Energiepartnerschaften: Deutschland liefert die Technologien für eine grüne Verstromung, Afrika liefert die natürlichen Ressourcen. Den Strom teilen sich beide. Partnerschaften dieser Art werden das „new normal“ in den deutsch-afrikanischen Handelsbeziehungen.

Fazit: Deutschland muss raus aus der Afrika-Illusion

Gesucht wird neue Energie – für die deutsch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen. Denn so wie sie waren, können sie nicht bleiben. Dafür sind Deutschlands Anforderungen zu neuartig. Und Afrikas Ansprüche zu selbstbewusst. Die 54 Länder verfügen mittlerweile über eine starke eigene Agenda. Und sie haben die Wahl unter mehreren Kooperationspartnern: Auch die Türkei, Brasilien, Japan und die USA verfolgen neue Charme-Offensiven. Doch am charmantesten von allen ist China. Seit Jahren ist das Land der größte Financier afrikanischer Infrastrukturprojekte. Es ist auch für Energieprojekte in der Pole Position. Es ist eine Illusion, dass wir neue Energie aus Afrika bestellen könnten wie aus einem Katalog. Deutschland wird sich anstrengen müssen, afrikanische Länder für neue Partnerschaften zu gewinnen. Darin liegt die eigentliche Zeitenwende im Verhältnis zwischen Deutschland und Afrika. Und sie ist überfällig.

Stay-Newsletter

Über den Autor:

Andreas Kugler arbeitet bei Stay und trägt dazu bei, dass die Stiftung und ihr neuer Weg in der Armutsbekämpfung immer bekannter werden.
Nach oben