Sie sind extrem arm, aber hochmotiviert und immer auf der Suche nach neuen Geschäftsideen: Die „active poor“ schaffen mit ihrem besonderen Spirit Einkommen für Familien in Uganda. Benjamin Wolf erklärt, was sie für ihn so inspirierend macht.
Als ich Richard Kasolo frage, wie er das Geld für seine neunköpfige Familie verdient, klingt seine Aufzählung beinahe wie ein Branchenbuch: Er baut Getreide an, formt und verkauft Ziegel, ist Samenhändler, Gemüsebauer, Grundbesitzer und -pächter. Mancher würde vielleicht sagen, der Familienvater aus Zentraluganda verdient seine rund 35 Euro im Monat als Kleinbauer. Für mich ist er ein Multi-Unternehmer.
„Active“ und „poor“ – die Mischung macht’s
Richard gehört zu den Leuten, die ich gerne die „active poor“ nenne. „Poor“ ohne Zweifel, denn wer mit 35 Euro im Monat für sieben Kinder sorgen muss, erfüllt die international anerkannte Definition für extreme Armut. Und dass Richard „active“ ist, das konnte ich bei meinem Besuch im Juli selbst spüren. Alles auf seinem Anwesen scheint Mittel zum Gelderwerb: Auf speziellen Folien liegt gerade Getreide zum Trocknen aus. Verkaufsfertige Ziegel stapeln sich im Hintergrund, Siebe zur Samenauslese lehnen an der Hütte neben Hacken verschiedener Größen zur Bearbeitung des trockenen Feldbodens.
Richard ist niemand, der sich zurücklehnt und auf eine Gehaltsüberweisung wartet. Sondern jemand, der aufsteht und Verdienstchancen sucht.
So wie auch George Basajja, der mit seiner Familie ganz in der Nähe wohnt. Als ich auf seinem Anwesen ankomme, werde ich gleich von einer Kinderschar begrüßt. George hat mittlerweile nicht nur sieben Kinder, sondern auch vier Enkel. Die gesamte 15-köpfige Familie lebt auf dem kleinen Anwesen und verdient auf vielfache Weise Geld. Alle müssen mit anpacken, auch einige der Kinder.
„Mir wäre es lieber, wenn alle Kinder in die Schule gehen könnten. Denn das ist gut für ihre Zukunft. Aber leider geht das nicht, denn wir brauchen Hilfe beim Geldverdienen. Manchmal zählt auf dem Feld jede Hand“, erzählt mir George.
Ich habe schon viele Familien wie die von Richard und George kennengelernt. Und ich muss zugeben, dass mich die Einfachheit ihrer Lebensumstände immer noch erschüttert: Die offene Kochstelle, die Lagerung ihrer Kleidung im Freien, die winzigen, dunklen, grasbedeckten Hütten. Aber gleichzeitig bin ich auch immer wieder beeindruckt davon, wie sie sich mit ihrer Situation nicht zufrieden geben.
Die beiden haben sich der „Balikywewunya Farmers Group“ angeschlossen. Mit gemeinsamer Kraft arbeiten sie daran, ihre Situation zu verbessern. Zum Beispiel, indem sie ihren Mitgliedern die Teilnahme an Stay Seed ermöglichen: Das ist unser Einkommensprogramm speziell für Kleinbäuer:innen im Bereich Getreide und Hülsenfrüchte. Hier lernen sie, mit einfachen aber gezielten Verbesserungen, ihre Ernteerträge zu erhöhen. Unsere Evaluationen weisen bisher darauf hin, dass die bäuerlichen Familien ihre Einkommen je Ernte damit erheblich erhöhen, manchmal sogar verdoppeln.
Das nächste Business schon im Blick
Doch auch damit geben sich die Bäuer:innen nicht zufrieden. Richard und George tüfteln schon wieder an ihrem nächsten Projekt. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern wollen sie eine Maismühle anschaffen. Sie wäre eine Investition in die Zukunft. „Mit der Mühle könnten wir mehr Mais in kürzerer Zeit feiner mahlen“, erklärt mir Robert Ssebuyungo von der Farmers Group. Und gemahlener Mais lässt sich teurer verkaufen. „Das Grundstück haben wir schon, jetzt brauchen wir nur noch das Geld für die Mühle“, ergänzt er.
Meine Bewunderung haben die Bauern längst. Sie sind ständig auf der Suche nach Chancen, um die Lage ihrer Familien zu verbessern. Sie sind offen, wagemutig und entschlossen – und erinnern mich damit an visionäre Start-upper. Zwischen diesen Farmern habe ich immer das Gefühl, man kann diese Energie geradezu mit Händen greifen und muss nur zupacken, um extreme Armut für immer zu überwinden.
Deswegen investieren wir mit Stay Seed in die Ausbildung dieser Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und bringen sie mit lokalen Unternehmerinnen und Unternehmern zusammen. Den richtigen Spirit bringen sie mit, die Anschubfinanzierung können wir liefern. Dafür sammeln wir Spenden als „social investments“ ein und schaffen damit Einkommen für Familien in Uganda.
Und Richard? Wenn die nächste Investition der beiden Bauern klappt, hängt er bei meinem nächsten Besuch vielleicht noch eine Berufsbezeichnung dran und ist bis dahin auch noch „Müller“. Es könnte nicht die letzte sein.
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