Unabhängigkeit liegt Festus Juma von der Stay Alliance Kenia am Herzen. Dafür lädt er Jugendliche zum Fußball ein. Wie das passt, erklärt er im Gespräch mit Projektleiterin Kenia, Irina Ruoff.

Redaktion: Festus, dein Society Empowerment Project (SEP), dessen Gründer und Geschäftsführer du bist, will mit Fußball einen Beitrag zu einer besseren Zukunft junger Menschen leisten. Wie funktioniert das?

Festus: Wir wissen, dass junge Menschen eine natürliche Affinität zum Sport haben. Wenn man einen Ball irgendwo hinlegt, zieht er junge Menschen an, Mädchen und Jungen.  Wenn man aber jungen Menschen einen Ball ohne Aufgabe oder Konzept zum Spielen gibt, ändert das nichts an ihrem Leben. Was wir also getan haben, ist, dass wir erzieherische Komponenten in das Fußballtraining integrieren. Wenn wir zum Beispiel über sexuelle und gesundheitliche Selbstbestimmungsrechte junger Menschen sprechen, dann haben wir dies zunächst in Form eines Workshops getan. Aber dann haben wir es auch im Fußball integriert. Wenn sie spielen, lernen sie auch. Das geht vom Aufwärmen über reale Spielsituationen bis zum Cool-down. In Abfragen versuchen wir dann, herauszufinden, was sie gelernt haben. Spezifische Fragen sind Bestandteil unserer Sportprogramme. Wir haben WASH-Spiele (WASH steht für Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene, die Red.). Wir möchten, dass die Jugendlichen wissen, wie und warum sie sich in kritischen Momenten die Hände waschen sollten und warum sie sich gesund halten sollen. Wir haben die WASH-Spiele von unserer Partnerorganisation in Deutschland namens Wash United übernommen. Wir haben auch ein Führungstraining. Wir wollen, dass die Menschen zu Führungspersönlichkeiten reifen und Verantwortung übernehmen, Entscheidungen treffen und ihr Leben in die Hand nehmen. Durch den Fußball geben wir jungen Menschen Aufgaben und Pflichten. Neben Fußball haben wir auch eine Reihe anderer Programme in der Organisation, wie Landwirtschaft und Agrobusiness.

Redaktion: Wie viele junge Menschen haben bisher am Projekt teilgenommen?

Festus: Stand Juni hatten wir 2135 junge Leute in unseren Programmen. Die Mehrheit ist in der Landwirtschaft und im Agrobusiness tätig. Der Unterschied zwischen beidem ist der: Im Landwirtschaftsprogramm geht es einfach darum, was man am besten anbaut. Aber im Agrobusiness-Programm bringen wir ihnen etwas über Wertschöpfungsketten bei und wie sie Märkte für ihre Produkte identifizieren. Damit sind die jungen Leute in der Lage, landwirtschaftliche Produkte zu verkaufen und können sich Schulbücher und Schuluniformen kaufen. Wir beginnen also, ihnen beizubringen, dass sie für sich selbst sorgen können.

Redaktion: Warum sind Sie als etablierter und erfolgreicher Unternehmer der Stay Alliance beigetreten? Was springt für Sie dabei heraus?

Festus: Stay Alliance Kenia bietet uns eine Menge Möglichkeiten. Dazu gehört darüber nachzudenken, wie wir unabhängig sein können. Also: Über welches soziale Kapital wir verfügen, welche Fähigkeiten wir haben und wie wir all das am besten so investieren, dass wir uns selbst versorgen, Effizienz erreichen und die Abhängigkeit von externen Geldgebenden verringern. Dies ist das Hauptproblem, das wir in Afrika haben. Denn die Abhängigkeit von Geldgebenden beträgt fast 80 Prozent. Das bedeutet, dass man allein nicht überlebensfähig ist. Als Mitglied der Stay Alliance Kenia denken wir darüber nach, wie wir dieser Abhängigkeit entkommen können. Wir nutzen Synergien, besuchen uns gegenseitig und lernen voneinander.

Redaktion: Welche Rolle spielst du in der Stay Alliance?

Festus: Ich bin der Leiter des Ausschusses für Monitoring und Evaluierung (M&E). Man kann ein Projekt nicht durchführen, ohne seine Auswirkungen zu messen. Man muss wissen, was dieses Projekt in der Gemeinde, in der man arbeitet, verändert. Wir müssen auch unsere eigenen Prozesse evaluieren. Es hilft der Stay Alliance Kenia auch dabei, festzustellen, ob wir uns wirklich aufwärtsbewegen oder was nicht funktioniert. Dann können wir korrigieren.  Während der Durchführung müssen wir ständig überprüfen, ob die geplanten Aktivitäten mit der Ausführung übereinstimmen. Dasselbe gilt für das Budget. Dank M&E sind wir in der Lage, den Zustand vor der Umsetzung eines Projekts und danach zu ermitteln. Ich glaube, dass M&E ein sehr sensibler Teil des Projektmanagements ist. Von Beruf bin ich ausgebildeter Projektmanager, ich habe einen Abschluss in diesem Bereich, aber zudem bin ich auch ein vom Kenya Institute of Management (KIM) zertifizierter M&E-Fachmann.

Irina: Ja, und von deiner Erfahrung und deinem Fachwissen haben wir während dieses ganzen Prozesses der Feldbesuche und der Hilfsmittel definitiv auch profitiert.

Redaktion: Hast du das Gefühl, dass die Partnerorganisationen den konsequenten M&E-Ansatz begrüßen?

Festus: Manchmal enthüllt M&E eine Wahrheit, die niemand hören will. Als wir für unser jüngstes Förderprogramm die Projekte vor Ort evaluiert haben, hatten wir zu Beginn 14 Bewerberorganisationen. Davon haben sich acht qualifiziert. Am Ende mussten wir vier auswählen. Wir wollten die Organisationen genau untersuchen und dabei wissenschaftlich vorgehen, damit niemand das Gefühl hat, wir seien voreingenommen. Wenn man Schwächen aufdeckt, haben manche das Gefühl, man sei hart oder ungerecht. Am Ende des Tages sollten wir uns von der Wahrheit leiten lassen, so wie sie ist. M&E liefert uns diese Wahrheit.

Irina: Und noch ein Feedback: Bei einem deiner Vor-Ort-Besuche besuchtest du eine Organisation, von deren Leiterin ich die Rückmeldung erhielt, dass der Besuch allein schon wertvoll für sie war. Denn das Feedback daraus war wie eine Beratung, die ihr sagte, wo sie sich verbessern und wie sie sich weiterentwickeln könne. Ich glaube, es gab viele positive Auswirkungen. Jeder hat etwas für seine eigene Organisation gelernt.

Redaktion: Als ihr die vier Projekte besucht habt, die finanziell unterstützt werden sollen, was hat dich vor Ort am meisten beeindruckt?

Festus: Die vier Gewinnerorganisationen waren wirklich praktisch tätig. Davon konnten wir uns bei unserem Besuch  überzeugen. Als wir das  Konzeptpapier mit ihrer Arbeit vor Ort verglichen, gab es viel Übereinstimmung. Das vermittelte uns den Eindruck, dass sie nicht nur ein Finanzierungskonzept einreichten, sondern wirklich praktisch arbeiteten. Es war nicht nur Erzählung oder Papierkram. Das und die Tatsache, dass sie so leidenschaftlich waren, war für mich wirklich wichtig, und ich war beeindruckt.

Redaktion: Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Meilen oder Kilometer Sie zurückgelegt haben?

Festus: Wir sind ein Team von M&E-Kolleginnen und Kollegen. Wir haben uns so aufgeteilt, dass wir Reisekosten sparen. Aber insgesamt sind wir schätzungsweise zu den Organisationen etwa 2400 Kilometer durchs ganze Land gereist.

Redaktion: Irina, wie sieht deine tägliche Zusammenarbeit mit der Stay Alliance Kenia und Festus aus?

Irina: Normalerweise stehe ich nicht in direktem Kontakt mit Festus. Ich habe meine beiden Kolleginnen vor Ort: Anita, die unsere Landesvertreterin ist, und Betty, unsere Projektkoordinatorin. Manchmal, wie für den M&E-Prozess, hatten wir auch ein paar Videogespräche. Während des Corona-Projekts habe ich auch enger mit den Sozialunternehmen zusammengearbeitet. Um wirklich schnell zu sein, schrieben wir auch Text-Messages hin und her und entwickelten dieses Projekt innerhalb nur weniger Wochen. Obwohl wir physisch weit voneinander entfernt sind, fühlt es sich dank Online-Tabellen, Online-Kommentaren, gemeinsam genutzten Dateien und Videos so an, als ob wir gar nicht so weit voneinander entfernt wären. So lernten wir uns näher kennen.

Redaktion: Festus, Corona ist in diesem Jahr ein großes Thema. Wie ist die Situation in Kenia?

Corona ist eine Bedrohung, weil unsere Gesundheitseinrichtungen in Kenia so mangelhaft sind. Besonders in den Regionen, in denen wir uns befinden. Menschen können sterben, weil es keine ausreichenden medizinische  Einrichtungen gibt. Nur sehr wenige Menschen gehen zu Tests. Deshalb wird Corona für uns zu einer großen Bedrohung – im Gegensatz zu Malaria. Während wir hier sprechen, ist Corona in Kenia überall verbreitet.

Redaktion: Wie hat deine Organisation am Corona-Präventionsprogramm teilgenommen?

Festus: Wir haben unsere Mitglieder, Fußballspieler, Trainer und unser gesamtes Personal zusammengebracht und ein Konzept erarbeitet. Was wir für wichtig hielten, war, den Menschen bewusst zu machen, dass Corona real ist. Wir wollten den Zugang zu Handwaschstationen ermöglichen und dachten über eine wirksame Lösung nach. So kamen wir auf fußbetätigte tippy taps. Man kann mit dem Fuß das Wasser und auf der anderen Seite die Seife ausgeben, so dass man sich die Hände waschen kann. Wir sind mit Aufklärungsmaterial in verschiedene Dörfer der Region gegangen. Wir versuchten, die Verwendung von Gesichtsmasken zu fördern. Wir gaben viele Botschaften, wie „bleibt zu Hause“, „nicht Hände schütteln“, „nicht umarmen“. Ich würde sagen, das Ergebnis war deshalb so großartig, weil so viele Menschen die Botschaften erhielten und Zugang zu Handwaschgelegenheiten und Flüssigseife hatten. Wir haben auch mit Partnern zusammengearbeitet. Da waren zum einen die lokalen Gesundheitsdienstleister. Sie gaben uns eine Grundausbildung, denn wir bei SEP hatten keine medizinische Erfahrung.

Redaktion: Irina, was hat dich am meisten beeindruckt an den Leuten, die das Corona-Programm ins Leben gerufen haben?

Irina: Ich glaube, es war die Geschwindigkeit. Es war ein Freitagabend, als wir das erste Mal darüber sprachen. Und bereits in der darauffolgenden Woche konnten wir dieses Projekt umsetzen. Und dann entwickelten wir auch ein M&E-Formular. Damit konnten die Leute vor und nach dem Projekt gefragt werden, ob ihre Kenntnisse über Corona und Händewaschen zugenommen hatten und ob sie tippy taps benutzen konnten. So konnten wir den Fortschritt direkt in Zahlen sehen. Und dann war es die Angaza Stay Alliance mit ihren Sozialunternehmen in so vielen verschiedenen Teilen des Landes. Das hat mir noch einmal gezeigt, wie ein solches Netzwerk innerhalb sehr kurzer Zeit eine Veränderung bewirken kann.

Redaktion: Festus, was sind deiner Meinung nach die Schlüsselfaktoren für den Erfolg des Corona-Programms?

Festus: Der erste ist der gute Wille von Stay und Global Partners for Development (GPFD) aus den USA. Sie beide haben uns die Ressourcen zur Verfügung gestellt. Zweitens der gute Wille und der Geist unserer Mitglieder und Freiwilligen, die sich entschlossen haben, mitzuhelfen. Das haben sie konsequent getan, ohne aufzugeben, inmitten der Bedrohung durch die Pandemie. Sie waren in der Lage, in die Mitte der Dorfgemeinschaften vorzudringen. Und das Wohlwollen dieser Gemeinschaften war ebenfalls vorhanden. Tippy Taps sind Dinge, die zerstört werden können. Aber die Dörfer waren bereit, die Verantwortung für die Tippy Taps zu übernehmen und sie länger als nur ein oder zwei Monate zu benutzen. Und schließlich hatten wir auch eine Zusammenarbeit innerhalb der Angaza Stay Alliance Kenya, wo wir ständig Informationen und Erfahrungen austauschten. Und die Verantwortlichen in der Stay Alliance waren immer für uns da. Ich möchte allen danken, die daran teilgenommen haben!

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