Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung stehen im Widerspruch? Das muss nicht sein! „Waldmacher“ Tony Rinaudo geht beides von der Wurzel her an – und findet Mitstreitende in der Region.
Die Menschen in Uganda brauchen den Wald zum Überleben, aber sie finden ihn nicht mehr. Für jede warme Mahlzeit verfeuern sie Holz. Verbreitete Gerichte, wie der Maisbrei mit Bohnen, brauchen Stunden, um einzukochen. Während dieser Zeit legen die Frauen immer wieder Holz auf die Feuerstelle – sofern sie welches finden. Uganda gilt bereits als zu 90 Prozent entwaldet.
Waldschwund erstreckt sich auf viele Länder südlich der Sahara. Genauso wie die Folgen: Holz zum Kochen und Heizen fehlt, Tiere und Pflanzen sterben aus, das gesamte Ökosystem gerät ins Ungleichgewicht. Die Böden können kaum noch Wasser speichern, werden trocken und hart. Unter der sengenden Sonne können die Menschen kaum noch etwas von den kargen Feldern ernten, obwohl bis zu 80 Prozent von ihnen von der Landwirtschaft leben müssen.
Einfache Baumpflanzungsprogramme scheitern
Fruchtbares Land wird knapp und es ist umkämpft. Verschiedene Volksgruppen beanspruchen Flächen für unterschiedliche Zwecke: Manche betreiben seit Generationen Viehzucht, andere traditionell Ackerbau. Die Besitzverhältnisse sind oft unklar. Dazu kommt ein ständig zunehmender Bedarf an Feuerholz, Feldern und Wohnraum für die rasant wachsende Bevölkerung. Es ist die Zutatenliste für komplexe Verteilungskonflikte.
Selbst für die Regierungen in der Region ist die Lage in den ländlichen Regionen oft undurchsichtig. Afrika braucht Bäume. Aber an Reißbrettern des globalen Nordens erdachte Wiederaufforstungsprogramme scheitern oft.
Das erlebte auch Tony Rinaudo, der als junger Mann aus seiner australischen Heimat nach Niger aufgebrochen war. Vor kurzem war er auf Einladung des Stiftungsnetzwerks Region Stuttgart im Kommunalen Kino Esslingen zu Gast und erzählte seine Geschichte. Mit viel Idealismus und wenig Ortskenntnis machte er sich als gelernter Agronom Anfang der achtziger Jahre daran, die Ausbreitung der Wüsten und das Elend der Bevölkerung im Niger zu bekämpfen. Doch mit den klassischen Rezepten scheiterte er jahrelang an der komplexen Lage vor Ort. Was damals eine bittere Enttäuschung war, lässt ihn heute lachen.
Foto: World Vision
Mit wenig Geld, keinem Dünger und kaum Werkzeug erweckt Rinaudo schlummernde Wälder zum Leben
Die Natur kommt zurück
Denn Tony Rinaudo ist niemand, der sich geschlagen gibt. Sondern eher der Typ unerschütterlicher Optimist. Und tatsächlich: Er entdeckte eine bahnbrechende Methode für die Schaffung neuer Wälder. Mittlerweile sind laut seiner Organisation World Vision auf diese Weise in 26 Ländern Millionen Hektar Wald entstanden – ohne dass auch nur ein einziger Baum gepflanzt worden ist.
Das klingt nach einem Paradox. Tony Rinaudo selbst nennt es ein Wunder. Dabei gibt es zwei Komponenten, die seinen Erfolg erklären. Erstens entdeckte er durch Zufall, dass selbst in seit Jahrzehnten gerodeten Böden oft noch lebende Wurzeln schlummern. Er entwickelte ein Verfahren, mit dem er diese unterirdischen Wälder wieder an die Oberfläche holt. Dafür braucht er wenig Geld, keinen Dünger und kaum Werkzeug. Auf eine geschickte Beschneidung und den Schutz der Triebe kommt es an. „Die Natur kommt zurück, wenn wir sie lassen“, sagte Tony Rinaudo in Esslingen.
Zweitens gehen seine Aufforstungen immer von den Menschen vor Ort aus. Deswegen nennt er sein Verfahren auch FMNR – etwa: durch Farmer gemanagte natürliche Regeneration. Denn die Aufforstung kann nur gelingen, wenn die Dorfbewohner:innen und ihre Ältesten an die Chance glauben. Doch die Skepsis war anfangs groß. Viele Bäuer:innen fürchteten, mit den Bäumen auf den Feldern könnten sie noch weniger Mais ernten. Andere, dass sie Weideflächen verlieren würden.
Doch Tony Rinaudo überzeugte sie vom Gegenteil. Denn tatsächlich regenerieren die Bäume die ausgelaugten Böden und begünstigen das Getreidewachstum. Sie schützen die Felder besser vor Austrocknung und Stürmen. Zudem kehrten viele Bäuer:innen nach Jahrzehnten des Maisanbaus wieder zurück zu den traditionellen einheimischen Getreidearten Hirse und Sorghum. Und selbst die Tiere kamen wieder.
Foto: World Vision
Mit den Bäumen kamen auch die Tiere wieder
Es ist das, was Tony Rinaudo ein Wunder nennt: Innerhalb nur weniger Jahre konnten die Bäuer:innen mit einfachsten Mitteln unwirtliche Wüsten in blühende Landschaften im ökologischen Gleichgewicht zurückverwandeln. Und gleichzeitig ihre vielfältigen Einkommensquellen sichern. Heute ernten sie sogar doppelt so viel. Sie verfügen wieder über mehr Getreide, mehr Viehfutter und frisches Feuerholz. Es scheinen wirklich alle zu profitieren. „Die Bäume schützen uns“, sagen die Dorfbewohner:innen heute. Nigers neue Waldgebiete sind sogar vom All aus zu erkennen; die Befriedung der Dörfer erkennt man in den Gesichtern der Menschen.
Auch Stuttgarter Stiftungen nutzen die Grundsätze
Waldmangel bleibt ein Problem in Afrika. Auch aus Stuttgart kommen Lösungen. Unter den Gesprächspartner:innen Rinaudos in Esslingen war Benjamin Wolf, Gründer und Geschäftsführer der Stuttgarter Stiftung Stay. „Besonders genial an Tony Rinaudos Konzept ist die konsequent lokale Perspektive: Einheimische Dorfbewohner:innen regenerieren traditionelle einheimische Pflanzen und schaffen sich selbst neue Perspektiven für ihre Einkommensquellen. Diese lokale Passung macht das Konzept in jeder Hinsicht nachhaltig“, sagt er.
Zusammen mit der ebenfalls Stuttgarter Organisation Fairventures Worldwide und unterstützt von mehreren Stiftungen aus der Region führt Stay ebenfalls ein Aufforstungsprogramm in Uganda durch. Dabei lernen Kleinbäuer:innen, wie sich Bäume und rasch wachsende Zwischenfrüchte wie Soja, Bohnen oder Erdnüsse gegenseitig begünstigen können. „Wichtig ist, dass die lokalen Akteur:innen und Entscheidungsträger:innen von Anfang an mit eingebunden werden. Wenn das gelingt, verstärken wir mit dem Programm sogar noch das Zusammengehörigkeitsgefühl. Zum Beispiel bilden die Bäuer:innen dann gemeinsame Spargruppen. Sie legen einen Teil ihrer neu erwirtschafteten Ernteerlöse zusammen und entscheiden gemeinsam, wie sie das Geld investieren“, erklärt Wolf.
Foto: Christoph Kalscheuer
„Wichtig ist, dass die lokalen Akteur:innen von Anfang an mit eingebunden werden“
Benjamin Wolf
Charismatisches Vorbild
Der Ansatz von Tony Rinaudo hat also auch nach Jahrzehnten nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Deswegen bleibt er eine geradezu zwingend einnehmende Persönlichkeit. 2018 erhielt er dafür den Right Livelihood Award, also den „alternativen Nobelpreis“. Und im letzten Jahr schenkte ihm Volker Schlöndorff den bildstarken Dokumentarfilm „Der Waldmacher“, der in Esslingen gezeigt wurde und der Anfang Juni erstmals im deutschen Fernsehen läuft. Doch Tony Rinaudos Charisma rührt nicht nur von der Größe seiner Idee her – sondern von der gleichzeitigen Bescheidenheit seines Auftretens. Das lässt seine Vision „Afrika kann die Welt ernähren“ schön und plausibel klingen. In Esslingen blieb an jenem Abend jedenfalls kein Zweifel daran, dass seine Zuversicht auch den Letzten im Saal erreichte.
Foto: Christoph Kalscheuer
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